Von Kölsch zu Korn
tl;dr: Wir ziehen aus Köln auf's norddeutsche Dorf, ich entdecke meinen inneren Hobbykoch und wir lernen, dass man für echtes Glück nur einen Campingstuhl, einen Laptop und eine gut ausgerichtete Starlink-Antenne benötigt.
Vor gut einem Jahr haben wir den Sprung gewagt: Mitten aus der Großstadt Köln ins beschauliche Heidenau im Norden Niedersachsens. Ein Umzug, der unser Leben grundlegend verändert hat. Genug Zeit für einen kleinen Rückblick.
In Köln lebten wir in einer Traumlage. Eine wunderschöne Altbauwohnung mitten in der Innenstadt, umgeben von Cafés und Restaurants. Alles war fußläufig erreichbar, und mit unseren Nachbarn hatten wir eine familiäre Atmosphäre. Unser Stammkiosk versorgte uns mit Spezi oder dem berühmten Notpflaster, wenn man sich Sonntags in den Finger schneidet. Es war wie ein kleines Dorf inmitten der Großstadt. Aber es war auch laut und voll. Mit tausenden Menschen in der Einkaufsstraße und gelegentlichen Autorennen vor der Tür merkten wir immer mehr, wie wir uns gefangen in der Wohnung fühlten. Für gut 10 Jahre war Köln eine tolle Heimat, doch mittelfristig fehlte uns etwas Entscheidendes: die Natur. Also überlegten wir, wie wir das ändern können.
Im Jahr zuvor waren wir mal wieder in Norddeutschland mit unserem Van Balou im Urlaub und hatten uns ganz schön in die Landschaft verguckt. Die Weite, die Nähe zum Meer und die Häuser aus rotem Ziegelstein.
Also suchten wir nach Wohnungen in Norddeutschland, recherchierten Städte und Regionen und fuhren mit Google Streetview durch die Straßen. Sicherlich die ungewöhnlichste Wohnungssuche, die wir beide hinter uns haben. Nach ein paar Gesprächen folgten dann Besichtigungstermine, an denen wir natürlich nicht rein digital teilgenommen haben.
Angekommen sind wir schließlich hier in Heidenau, ziemlich genau zwischen Hamburg und Bremen. Ein 2000 Einwohner Dorf in mitten von grünen Wiesen. Blicken wir in die Ferne, sehen wir kilometerweit, der Himmel ist quasi omnipresent und, wenn nicht gerade ein 10-Tonnen-Trecker unsere Wege kreuzt, hört man nur das Rauschen des Windes. Und das hat einen erstaunlichen Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Unsere größte Sorge vor dem Umzug war sicherlich, wie so ein Dorf denn nun wirklich tickt. In unseren wild gewordenen Fantasien malten wir uns alles aus – von Nachbarn mit Röntgenblick, die jede unserer Bewegungen katalogisieren, bis hin zu völkischen Siedlern, die jede Nacht Bücher verbrennen. Wir waren mental vorbereitet, das ganze Dorf mit No-AFD-Stickern zu bombardieren.
Doch siehe da, die Realität entpuppte sich als erstaunlich... normal. Wir hatten das unverschämte Glück, in ein Dorf zu ziehen, das progressiver ist als so manches Großstadt-Viertel. Statt misstrauischer Blicke wurden wir herzlich empfangen und waren innerhalb der ersten Woche mit allen per Du. Ob nun 20 oder 90 Jahre alt. Wir genießen nun die perfekte Mischung aus "Jeder macht sein Ding" – Ist halt Dorf, ne?! – und "Wir erfahren die Lebensgeschichte aller Familien seit 1900" – inklusive pikanter Details, die kein Geschichtsbuch je drucken würde.
Um uns herum wohnen Rentner, aber auch viele Kreative, Künstler und Gestalter. Besonders die Hundebesitzer-Community hat uns geholfen, schnell Anschluss zu finden. Wer hätte gedacht, dass "Gassi gehen" das neue Networking ist?
Das einzige Klischee, das sich bewahrheitet hat? Der Cola-Korn auf den Dorffesten – eine alkoholfreie Cola-Bestellung wird wirklich mit Augenrollen garniert.
Interessanterweise vermissen wir weder die Cafés noch die angesagten Food-Spots. Das spart neben Nerven auch merklich Geld. Und sind wir ehrlich, selbstgemachte Zimtschnecken schmecken mindestens genauso gut. Stattdessen habe ich meine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Der wöchentliche Einkauf ist zu einem festen Ritual geworden und ein voller Kühlschrank macht Kochen wirklich einfach. Es zeigt sich, dass Begrenzungen oft Kreativität fördern. Wenn man keine 10 Sushi-Läden in Reichweite hat, wird man erstaunlich kreativ mit Kartoffeln und Kohl. Schlechtes Beispiel, tatsächlich findet man auch auf dem Land wirklich gute asiatische Küche!
Aber wir haben tatsächlich angefangen unser erstes Gemüse anzubauen. Dank der großartigen Vorarbeit und Hilfe unserer Nachbarn hat das auch erstaunlich gut geklappt. Zum Selbstversorgen reichten die paar Zucchini jetzt noch nicht ganz, aber – ze sky is ze limit– sag ich mal.
Als selbständig arbeitende Menschen schätzen wir besonders die Möglichkeit, in unseren Arbeitspausen die Stille der Natur zu genießen. Dank Remote-Arbeit können wir für Kunden weltweit tätig sein und gleichzeitig die Vorzüge des Landlebens genießen. Ein kurzer Spaziergang im Grünen reicht oft aus, um mit neuer Energie – und leicht matschigen Schuhen – an den Schreibtisch zurückzukehren.
Unser Arbeitsalltag hat sich ebenfalls verändert. In den ersten Wochen erledigten wir unsere Aufgaben im Campingstuhl mit dem Laptop auf den Knien, umgeben von Hühnern und quakenden Enten. Es ist erstaunlich, wie wenig man eigentlich braucht, um produktiv zu sein. Das Prinzip 'Weniger ist mehr' hat sich in vielen Lebensbereichen als wertvoll erwiesen.
Diese Reduktion bedeutet jedoch nicht, dass wir technologisch in die Steinzeit zurückgefallen sind. Vielmehr konzentrieren wir uns auf die Tools und Techniken, die uns elegant zum Ziel führen. Im Hype um das nächste große Javascript Framework vergisst man machmal, dass das Web auch erwachsen wird und wir mit nativen APIs extrem weit kommen. Für mich heißt das also mehr native APIs nutzen, mehr selbst schreiben und immer weniger Libraries nutzen. Dass so ein Workflow dann auch noch Freude macht, ist natürlich das Tüpfelchen auf dem i.
Was uns auffällt: Auf dem Land fällt es leichter, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und sich nicht von äußeren Einflüssen ablenken zu lassen. Sowohl emotional, als auch im Business. Manchmal müssen wir schmunzeln über die früheren Co-Working-Spaces in dem eine einsame Telefonzelle der letzte Ruhepol ist.
Hier sind wir ruhiger und auch ein bisschen langsamer. Bisher fühlt sich das gut an.
Unser Umzug aufs Land hat uns nicht nur persönlich bereichert, sondern auch unsere Arbeitsweise positiv beeinflusst. Manchmal braucht es eben einen Umzug ins Nirgendwo, um zu erkennen, wie einfach und wichtig Veränderungen im Leben sind.
Und wenn wir doch mal Großstadtluft schnuppern wollen? Dann fahren wir mit dem Fahrrad oder Auto zur nächsten Bahn-Station, denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind ländliche Gebiete leider wirklich schlecht erschlossen.